Bindungs- und Beziehungsorientierte Hilfe, Begleitung und Beratung finden betroffene Eltern hier
Eine Mutter, die ihren Namen nicht öffentlich machen möchte, hat uns ihren Fall geschildert. Sie war mit ihrem sechs Monate alten Baby (Name geändert) aufgrund seiner starken Neurodermitis zur stationären Behandlung in der Gelsenkirchener Kinderklinik. Eigentlich waren drei Wochen Aufenthalt geplant, die Mutter hat die Behandlung aber schon nach wenigen Tagen abgebrochen, nachdem sich das Kind in einem Klinikzimmer namens „Mäuseburg“ unter Aufsicht des Klinikpersonals großflächig den Kopf blutig gekratzt hat.
Lest hier ihren Erfahrungsbericht:
„Vom 9. bis zum 12. April 2017 war mein sechs Monate alter Sohn K. wegen Neurodermitis gemeinsam mit mir in der Gelsenkirchener Kinderklinik stationär. Am Anreisetag fand zunächst ein kurzes Aufnahmegespräch mit einer Schwester statt. Alle Salben und Cremes sollten sofort abgesetzt werden, auch das Kortison, das üblicherweise ausschleichend abgesetzt wird. Ich nahm das erstmal so an und dachte nicht weiter darüber nach, da ich (noch) Vertrauen und große Erwartungen in den Aufenthalt in Gelsenkirchen hatte. Am Nachmittag fand ein Begrüßungscafé statt und die erwachsenen Begleitpersonen (ausschließlich Mütter, Väter habe ich nicht gesehen) wurden darüber aufgeklärt, dass die ersten Tage erstmal der Eingewöhnung dienten und die richtige Therapie am Mittwoch losginge.
Tag 1, Montag, 10.04.17
Am Montag fand eine Einführung in das Behandlungsverfahren statt und mir kamen die ersten Zweifel. Insbesondere die Aussage, dass sich die Kinder mit Neurodermitis kratzen dürften, bzw. sogar sollten, irritierte mich. Es hieß, dass das Kratzen dem Stressabbau diene. Eine weitere Aussage war, dass Kinder mit ihrer Neurodermitis nur Aufmerksamkeit erregen wollen. Wenn man das ignoriere, würden die Probleme verschwinden. Da ein Kratzschutz (Handschuhe) ein Zeichen der Aufmerksamkeit sei, sei er verboten. Ich meldete mich zu Wort und äußerte meine Zweifel. Ich wies darauf hin, dass z.B. der Juckreiz bei einem Mückenstich durch kratzen nur stärker wird und man sich dann in Rage kratzt bis es blutet und es dann brennt. Auf meinen Einwand erwiderte die Vortragende, dass es in den nächsten Tagen weitere Informationen dazu geben werde. Ich warf ein, dass ich bis dahin die Handschuhe noch dran lassen werde bis mir das ausführlicher erklärt werden würde.
Um 15 Uhr fand ein ärztliches Aufnahmegespräch statt, in welchem die Anamnese besprochen und auch Fragen zu meiner psychischen Verfassung gestellt wurden. Es wurde beispielsweise gefragt, ob es „einschneidende Erlebnisse“ in der Vergangenheit gegeben habe und ob ich meinem Sohn gegenüber schon einmal aggressiv geworden sei. Ich teilte der Ärztin mit, dass ich derzeit Stillprobleme hatte und fragte, ob es schlimm wäre, wenn ich K. hin und wieder Fertigmilch (PRE-Nahrung) gebe. Ich hatte deshalb Bedenken, weil ich gehört hatte, dass der Verzehr von Kuhmilch einen Neurodermitisschub auslösen kann. Diese Frage konnte von der Ärztin nicht beantwortet werden – ich wurde an die Schwestern weiterverwiesen.
Tag 2, Dienstag, 11.04.17
Am Dienstag wurde der Tagesablauf für die nächsten Tage erklärt. Dieser sollte wie folgt aussehen:
7:00 Uhr – 7:30 Uhr Muttermilch
7:45 Uhr Betreuung in Mäuseburg (Trennungstraining) während des Frühstücks
9:30 Uhr – 11:00 Uhr Schlafen
11:00 Uhr durch Personal wecken, wickeln, dann Mäuseburg (Trennungstraining)
11:30 Uhr Muttermilch (zunächst sollte Brei gefüttert werden, nach 20 Minuten dann erst Muttermilch)
12:15 Uhr Betreuung in Mäuseburg (Trennungstraining) während des Mittagessens
13:00 Uhr – 15:00 Uhr Schlafen
15:00 Uhr durch Personal wecken, wickeln, dann Mäuseburg (Trennungstraining)
15:30 Uhr Muttermilch
18:15 Uhr – 18:55 Uhr Betreuung in Mäuseburg (Trennungstraining)
19:00 Uhr Muttermilch, dann Nachtruhe
23:00 Uhr Muttermilch
Mir wurde gesagt, dass ich als Mutter schuld an der Neurodermitis sei, weil während des Geburtsvorgangs die Austreibungsphase zu schnell gewesen wäre und das Kind dadurch eine zu starke Bindung hätte, was das Trennungstraining notwendig mache.
Ab Mittwoch sollte K. also in die „Mäuseburg“ und nur noch fünf Mal am Tag – streng nach Plan – gestillt werden. Auch der Schlaf sollte nur noch nach Plan erfolgen. Ich wollte eigentlich nicht, dass K. das für alle Kinder obligatorische Trennungstraining mitmacht. Nachdem ich meine Ängste bezüglich der Mäuseburg und meine Befürchtung, dass man mein Kind dort schreien lassen könnte, geäußert hatte, tat Frau J. sehr verständnisvoll und empfahl mir, einen Termin mit einem Psychologen zu einem Einzelgespräch zu vereinbaren.
Des Weiteren sprach ich mit ihr über meine Stillprobleme und dass ich Angst habe, weniger zu stillen, weil dadurch die Milch noch weiter zurückgehen würde (Zur Erklärung – die Milchproduktion passt sich dem Verbrauch an. Wenn ich also weniger stille geht auch automatisch die Milchproduktion weiter runter). Dieser Angst wurde keine große Beachtung geschenkt. Angeblich hätte ich dann anstatt vieler kleiner Mahlzeiten eben fünf große. Sie betonte, dass ich das mache, um K. zu helfen und weil ich doch da wäre, um etwas zu verändern. Außerdem wurde mir geraten, den Kontakt nach Hause zu unterlassen und mein Telefon bei den Schwestern abzugeben, um mir selbst zu helfen. Ich war völlig außer mir und weinte, weil ich mich nicht verstanden fühlte.
Um 9.15 Uhr fand eine kurze Statusuntersuchung statt, bei der ich mich zwar im gleichen Raum wie K. aufhalten durfte, allerdings ohne von ihm gesehen zu werden.
Später am Vormittag wurde mir gesagt, dass mein sechs Monate alter Sohn durchschlafen müsse, da jedes Kind ab vier Monaten dazu in der Lage wäre. Ich zweifelte dieser Aussagen mit Nachdruck an und begründete meine Einwände. Ich wurde erneut an einen Psychologen verwiesen. Daraufhin wollte ich einen „richtigen Arzt“ sprechen. Dr. Lion kam zu mir und berichtete mir von seiner jahrelangen Erfahrung. Er forderte mich dazu auf, zu vertrauen. Auch er erklärte, dass wir ja stationär seien, damit meinem Sohn geholfen werden könnte. Ich versuchte anschließend ernsthaft, die Zweifel zur Seite zu schieben und den Klinikmitarbeitern zu vertrauen.
Am Nachmittag fand noch eine Einführungsveranstaltung in das Bindungs- und Trennungstraining statt. Ich fing während des Vortrages mehrfach an zu weinen. Ich sagte aber nichts und schluckte alle Bedenken herunter.
Ich erinnere mich, dass unter den Müttern ein starker Zusammenhalt herrschte. Viele verbrachten fast den ganzen Tag zusammen – man ging beispielsweise zusammen joggen und machte autogenes Training, während die Kinder beim Schlaf- oder beim Trennungstraining waren. Wir Mütter durften die Kinder nur zu bestimmten Zeiten sehen.
[Whatsapp-Nachricht, die ich an diesem Tag geschrieben habe: „Ich weiß nicht was ich sagen soll. Deshalb habe ich mich nicht gemeldet. Auch jetzt weiß ich es nicht! Mir geht es scheiße und ich weiß nicht ob ich das mit meinem Gewissen alles so vereinbaren kann!“]
Tag 3, Mittwoch, 12.04.17
K. war seit 6 Uhr wach, weil er Hunger hatte. Ich sollte aber erst ab 7 Uhr füttern. Ich versuchte ihn zu beruhigen, ohne Erfolg.
Um 7.45 Uhr habe ich ihn in der Mäuseburg abgegeben. Nach dem Frühstück gingen wir spazieren, wobei das Baby im Tragetuch einschlief. Als ich im Anschluss Frau J. fragte, wie ich nun die Sache mit dem Vormittagsschlaf handhaben solle, wurde mir gesagt, dass ich das Kind trotzdem hinlegen solle. Ich tat es. Während ich den Raum verließ, fing mein Sohn an zu weinen, da er ausgeschlafen war und langsam auch wieder Hunger bekam. Gestillt werden durfte er aber nicht. Ich hörte ihn vom Flur aus bitterlich weinen und brach selbst in Tränen aus. Die Schwestern hörten ihn zwar, kümmerten sich aber nicht um ihn. Sie rieten mir, wegzugehen, damit ich ihn nicht hören müsse.
Um 10 Uhr begann Dr. Lions Vortrag und ich hörte meinen Sohn vom Vortragsraum aus immer noch weinen und schreien.
[WhatsApp-Nachricht, die ich kurz vor Beginn des Vortrages geschrieben habe: „Ich höre ihn ganz bitterlich und verzweifelt über den Flur weinen. Niemand macht etwas. Das letzte mal gegessen hat er um 7 Uhr. Er hat Hunger und ich darf nicht stillen. Ich brech hier zusammen.“]
Als der Vortrag um 11.30 Uhr zu Ende war, holte ich K. aus der „Mäuseburg“ ab. Ich fand ihn auf einer blutigen Bettdecke, am Kopf mit schlimmen Verletzungen, die ich fotografiert habe. Das Klinikpersonal hat K. entgegen meinen ausdrücklichen Willen die Kratzschutzhandschuhe und den Schnuller weggenommen, als sie ihn vom Bett in die „Mäuseburg“ gebracht haben. Als ich den Raum betrat, saßen zwei Betreuer in der Mitte, als wenn nichts wäre, waren ganz still und lächelten die ganze Zeit. Um sie herum schätzungsweise zehn weitere Kinder, alle älter als K. und alle am Weinen. Ein Mädchen stand neben mir am Fenster, bemerkte mich nicht, weil sie so mit heulen beschäftigt war. Sie trommelte mit den Fäusten gegen die Fensterscheiben und ich sah ihr an, dass sie nur wegwollte und unfassbare Angst gehabt haben muss. Diesen Anblick werde ich wohl nie vergessen.
Ich nahm meinen Sohn schnell mit aufs Zimmer. Als wir uns beide etwas beruhigt und ich meinen Sohn gefüttert hatte, verlangte ich, jemanden zu sprechen, der zuständig war. Ich wurde an eine bestimmte Schwester verwiesen, die vorschlug, K. ins Bett zu legen. Auf diesen Vorschlag ging ich nach dem Erlebnis mit der „Mäuseburg“ allerdings nicht ein. Ich entschied, dass er bei mir bleiben sollte. Die Schwester ging mit uns in das sogenannte Wohnzimmer. Sie schlug vor, ihm den Schnuller noch in den nächsten Tagen zu lassen, die Handschuhe allerdings nicht. Obwohl ich äußerte, dass ich anderer Auffassung war, beugte ich mich der Meinung der Schwester.
Ich war zu diesem Zeitpunkt nervlich bereits stark angeschlagen. Ich beschloss schließlich, die Behandlung abzubrechen, da ich die Methoden als zu gefährlich für meinen Sohn einstufte. Ich hatte Angst. Ich rief meine Mutter an, die versuchte, mich zu beruhigen. Als sie versprach, am Telefon zu bleiben, traute ich mich zum Schwesterntresen und bat um eine Wundversorgung des Kopfes meines Kindes. Diese wurde verweigert, „weil das nicht so schlimm“ sei. Ich solle mich „nicht so haben“. Ich war völlig fertig und bat meine Mutter, mit der zuständigen Schwester zu sprechen. Ich gab ihr also mein Handy und meine Mutter sagte dieser, dass ich die Behandlung abbrechen will.
Zu dem eigentlich folgenden Vortrag bin ich nicht mehr gegangen, woraufhin Dr. Lion zu mir kam. Ich sagte ihm, dass die Methoden, die dort angewendet werden, in meinen Augen grob fahrlässig und gefährlich seien und an Kindeswohlgefährdung grenzen. Auf diese Aussage erwiderte er, dass es wohl wirklich besser sei, wenn die Behandlung beendet wird, da ein gegenseitiger Vertrauensverlust vorliege. Dem stimmte ich zu. Dr. Lion sagte noch, dass ich dann „einfach noch nicht so weit sei“ und verließ den Raum.
Ich ging mit K. im Tragetuch spazieren und er saugte meine Nähe förmlich auf und entspannte sich endlich. Auch sein Zittern hörte langsam auf. An den folgenden Tagen konnte ich K. keine Sekunde allein lassen, weil in ihm sofort die Angst wieder hochkam, dass ich weg sein könnte. Ich hatte jetzt nicht mehr nur ein krankes, sondern auch ein verstörtes Kind.
Am nächsten Tag wurden wir in einer anderen Kinderklinik vorstellig. Dort wurde eine Superinfektion des Köpfchens festgestellt und schulmedizinisch behandelt.
Zurück in Berlin erstatteten wir Strafanzeige gegen die Kinderklinik und informierten die Krankenkasse sowie die Ärztekammer. Das Strafverfahren wurde später eingestellt. Im Schreiben der Staatsanwaltschaft heißt es: „Sofern Sie mit einzelnen Behandlungen bzw. Vorgehensweisen nicht einverstanden waren, hätte es Ihnen oblegen, diese zu unterbinden bzw. – wie letztendlich auch geschehen – die Behandlung abzubrechen. Strafrechtlich relevantes Verhalten vermag ich Ihrer Strafanzeige und den uns überreichten Unterlagen nicht zu entnehmen“.“
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Die Mutter ist demnach vollumfänglich selbst für die Verletzungen ihres Kindes verantwortlich, denn sie hat ja in die Behandlung eingewilligt. Das mag zwar vordergründig zutreffend erscheinen, doch wird hier die Gesetzgebung einem wichtigen Umstand nicht gerecht: Es wird nicht berücksichtigt, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis asymmetrisch und von einem erheblichen Machtgefälle geprägt ist. Es handelt sich nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe, da der Arzt den Status eines Experten innehat. Gewinnt in einer Arzt-Patienten-Beziehung der Patient den Eindruck, sich gewissen Vorgaben beugen zu müssen, handelt es sich mehr um ein paternalistisch-fürsorgliches und weniger um ein partnerschaftliches Verhältnis, bei dem beide an einem Strang ziehen. Dies ist verstärkt der Fall, wenn sich der Patient beziehungsweise der Sorgeberechtigte in einer Ausnahme- oder Notsituation erlebt, in der er sich Hilfe vom Arzt erhofft. Der Arzt muss in solch einem Fall besonders verantwortungsbewusst handeln und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten respektieren, was nicht der Fall ist, wenn Aussagen getroffen werden, die beispielsweise zu Schuldgefühlen beim Patienten beziehungsweise dem Sorgeberechtigten führen. Der Umgang mit minderjährigen Patienten und ihren Eltern erfordert ein in besonderem Maße verantwortungsbewusstes Handeln von ärztlicher Seite, da Sorgeberechtigte vor allem bei kleinen Kindern noch unerfahren und unsicher sind und sich deshalb auf die Expertenmeinung des Behandelnden verlassen können müssen. Eine gleichberechtigte Beziehung auf Augenhöhe ist in dieser Situation aus den genannten Gründen auf keinen Fall gegeben.
Dieser Bericht ist mit Genehmigung der Betreiber der fb-Seite: "Elternschule - Informationen rund um den Film und die gezeigte Klinik" und der betreffenden Eltern zur Veröffentlichung freigegeben.
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